Ich sitze vorm Velvet Café Galata, habe gerade Menemen gegessen und einen Cappucino getrunken. Dabei habe ich die vier jungen Frauen am Nebentisch beobachtet und überlegt, wie ich sie am besten ansprechen und fragen kann, ob ich sie fotografieren darf, als Seher plötzlich an meinem Tisch steht. Wir lachen uns zuerst einfach nur an und sie überlegt und ringt nach englischen Worten. Dabei schaut sie immer mal hinter sich und erhofft sich dort Unterstützung von ihren Freundinnen – zumindest interpretiere ich es so. Und so kommt dann eine nach der anderen und dann stehen alle um meinen kleinen Tisch herum und sehen mich neugierig, im besten Sinne, an. Und dann legt Seher, die in dem Moment die mutigste ist, so richtig los. Sprachlich unterstützt wird sie besonders von Neslihan. „Woher kommst du? Was machst du hier? Bist du alleine hier? Wo wohnst du? Hast du Kinder? Hast du einen Mann? Was bist du von Beruf?“ Schlag auf Schlag kommen die Fragen herausgesprudelt, nur immer mal kurz unterbrochen von der Suche nach den richtigen Vokabeln. Die lassen sich aber dank Google translate leicht finden. Ich jedenfalls kann nicht so schnell antworten, wie die Vier ihre fehlenden Vokabeln in die Smartphones tippen. Zwischendrin haben sie mich an ihren Tisch eingeladen, denn der ist viel größer als der, an dem ich sitze. Hinzu kommt noch die Besonderheit: Mein Tisch steht direkt in der Kurve, auf der Straße, der kleinen Gasse, in der sich das Velvet Café befindet. Das bedeute, immer wenn z. B. ein Lieferwagen kommt, kommt die Bedienung angesprungen, nimmt den Tisch, trägt ihn kurz nach rechts oder links, jedenfalls aus dem Weg und wenn das Auto dann vorbeigefahren ist, wird der Tisch wieder abgestellt. Ich kenne das Prozedere mittlerweile, denn ich bin ja seit 6 Jahren 1x jährlich für ca. 10 Tage Stammkundin. Wenn die Bedienung nicht in der Nähe ist, nehme ich den Tisch, stelle ihn an der Seite ab und lege die Füße schnell hoch.
Aber nun sitze ich ja am Nebentisch und kann auch einmal ein paar Fragen stellen. Und so erfahre ich, dass alle Vier aus Mersin kommen und jetzt gemeinsam tatiler (Ferien) in Istanbul machen. Sie wohnen bei Sehers Onkel. Sie gehen gemeinsam zur Schule und machen im nächsten Jahr Abitur. Danach möchten sie ein Erasmus Jahr machen. Aber da muss man erstmal abwarten, ob es klappt mit dem Abitur, befindet Neslihan. Jetzt folgt die erste Runde gegenseitiger Fotos. Ich beteuere, keinesfalls einfach irgendein Foto von ihnen zu veröffentlichen. Das stößt auf verständnislose Blicke und der Aufforderung, ruhig Fotos zu zeigen. Und ich glaube nur aus diesem Grund wurde ich dann ganz höflich gefragt, ob ich damit einverstanden sei, dass sie unser gemeinsames Gruppenfoto bei Instagram veröffentlichen.
Neslihan möchte später Ingenieurin werden.
Seher will Architektur studieren.
Kübra möchte auch Architektur studieren.
Und Hatice möchte Ärztin werden.
Dann fragt mich Seher welcher Religion ich angehöre. Ich sage das ich christlich erzogen wurde und sie übersetzt, dass ich Protestantin bin. Und ob ich denn zur Kirche gehe? „Nein, ich gehe nicht in die Kirche. Geht ihr denn in die Moschee?“ Sie sehen einander an und fangen dann gemeinsam an, laut zu lachen. „Nein, in die Moschee gehen wir nicht.“ Hatice überlegt einen Moment, tippt schnell in ihr Smartphone und sagt dann: „Nur manchmal, bei besonderen Anlässen, gehen wir in die Moschee. Vielleicht 1x im Jahr. Und ja, die Eltern und Großeltern gehen schon immer mal in die Moschee.“ Es folgt eine zweite Runde Fotos und Seher möchte dann auch alle Fotos einmal ansehen.
Mir macht das so viel Spaß, weil die Vier vor Lebendigkeit und Neugierde auf das Leben nur so sprühen und dann doch auch ganz ernsthaft werden, wenn es um die Politik im Land und ihre Situation als Kurdinnen geht.
Wir erzählen uns noch welche Teile der Türkei wir bisher kennengelernt haben, so ganz schlecht schneide ich dabei gar nicht ab, stellen fest, dass wir uns nicht entscheiden können, wo es am schönsten ist. Da ich bisher noch nicht in Mersin war, solle ich dort einmal hinfahren und mich dann unbedingt bei ihnen melden. Dann müssen sie aber mal weiter ziehen. Ihr Ziel für heute ist die Istiklal Caddesi. Wir verabschieden uns herzlich voneinander und dann ziehen sie gemeinsam den Berg Richtung Istiklal hinauf.
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